Als das Wünschen nicht mehr geholfen hat

1.SZENE
ISIS irrt umher. Sie sucht ihren Geliebten Osiris. Er wurde in 13 Teile zerstückelt. Und die wurden in alle Winde zerstreut. Sie stößt leise Laute aus, unartikuliert, wie ein verwundetes Tier. Sie schließt die Augen und konzentriert sich aufs Riechen. Der Geruch. Seinen Geruch wird sie erkennen. Wie ein Hund kriecht sie auf allen Vieren und spürt seinem Geruch nach. Sie beginnt, Löcher zu scharren in die Erde, wenn sie meint, etwas gefunden zu haben. Sie kann seine Umarmung spüren, so intensiv ist der Geruch geworden. Und tatsächlich, es ist ein Arm, sein Arm, der rechte. Sie zieht ihn heraus, putzt die Erde ab und liebkost ihn, küsst ihn, als wäre Er als Ganzer da. Mit ihren Tränen wäscht sie den Arm rein. Dann wickelt sie ihn in feuchte Tücher und legt ihn geschützt vor Sonne und Menschen zwischen große Steine. Sie ist erschöpft.

2.SZENE eine große Tafel
DANIELA sitzt in der Mitte.
Blutrot. Der metallene Klang im Becken, metallen der Geruch. Verrostetes Eisen. Die Spur verwischt im Wasser, die Kugel aus Gold schwimmt darin. Mit ihr wollt ich nie spielen. Jetzt wäre sie willkommen und der Frosch dazu. Er springt heraus aus der Schüssel und klatscht an die Wand – ein Prinz. Doch rot ist die Kugel, ein Klumpen, der schwer herausfällt aus mir. Und keiner kann es richten. Wo die Kugel war, ist ein Loch, herausgerissen, und wieder Blut, immerzu Blut, das fließt. Metallen der Geruch, als schwämmen die Nägel mit, die mich stechen, in dem Fluss, den ich nicht stoppen kann. Immer wieder kommt es, aus mir heraus, überflutet den Boden. Wohin damit? Keiner will es haben. Es verfärbt die Welt, mit seinem Rot überzieht es die Straße, den Hügel hinunter und will noch nicht enden. So läuft es weiter und weiter zur Stadt hinaus wie der Brei und das Wasser – wo ist das Zauberwort.
Man sieht jetzt MANFRED und die GÄSTE an der Tafel sitzen. Die Gespräche gehen „über den Kopf hinweg“ von Daniela und Manfred.
GERLINDE: Eigentlich wollte ich dieses Jahr nicht mehr kommen.
EWA: Aber dann überlegt man es sich doch anders.
GERLINDE: Sie tut mir so leid.
MUTTER: Ich bin sicher, das ist eine psychische Blockade.
VATER: Ach was. Üben üben üben. Nur das hilft.
GERLINDE: Ob die noch Spaß miteinander haben?
EWA: Dass er das so mitmacht.
VATER: Ich hätte mir längst eine andere gesucht.
GERLINDE: Vielleicht liegt es ja an ihm.
EWA: Ach was. Der ist potent wie ein Stier.
MUTTER: So?
DANIELA nimmt ihre Gäste wahr
DANIELA: Ich bin sehr froh, dass ihr euch auch in diesem Jahr wieder zusammen gefunden habt, um unseres geliebten Sohnes zu gedenken. Dass es Manfred und mir immer noch nicht gelungen ist, bei all den Anstrengungen der letzten Jahre, ein weiteres Kind in die Welt zu setzen, um den Schmerz über das Verlorene zu mildern, lässt uns … lässt uns langsam verzweifeln. Deshalb möchten wir euch bitten, etwas für uns zu tun. An wen oder was auch immer ihr eure Wünsche richtet, schickt einen für uns dahin, einen großen und innigen, nämlich, dass wir endlich wieder ein Kind haben können. Dies ist unser sehnlichster Wunsch, und ich glaube fest daran, dass die Kraft so vieler etwas bewirken kann. Ich bitte euch, es auf einen kleinen Zettel zu schreiben und ihn zusammengefaltet hier hinein (sie zeigt auf eine Kiste) zu legen.
Nach anfänglichem Zögern tun alle, wie ihnen geheißen. DANIELA verschließt die Kiste, breitet ein Tuch darüber, stellt Kerzen rundherum und legt Blumen darauf.
Die GÄSTE machen sich zum Gehen bereit. Auch jetzt werden die Gespräche über die Köpfe von Daniela und Manfred hinweg geführt.

GERLINDE: Sie übertreibt es langsam.
EWA: Das können wir jetzt auch noch aushalten.
GERLINDE: Ich weiß nicht, gesund ist das nicht. Vielleicht würde ihr eine Therapie gut tun.
EWA: Wir müssen mal mit ihr reden.
GERLINDE: Das sagen wir schon seit drei Jahren.
MUTTER: Ganz geheuer ist mir meine Tochter nicht mehr.
VATER: Ich muss mir den Manfred mal zur Brust nehmen, so von Mann zu Mann. Da muss sich doch was machen lassen.
MUTTER: Wenn das so einfach wäre.
VATER: Davon verstehst du nichts.
GERLINDE: Sie will ja auch nicht, dass man mit ihr spricht.
EWA: Ja, sie hat sich sehr abgesondert. Außer diesen gespenstischen Treffen sehe ich sie kaum noch. Und am Telefon ist sie auch immer kurz angebunden.
MUTTER: Ich hätte jetzt Lust auf ein dickes, saftiges Steak.
VATER: Da mache ich mit. Und danach üben wir auch noch ein bisschen.

DANIELA und MANFRED bleiben unbewegt sitzen

3.SZENE
Früher Morgen. MANFRED ist schon geduscht und angezogen. Er versucht zum wiederholten Mal, DANIELA zum Aufstehen zu bewegen. Es ist der Tag der 3.Invitro-Fertilisation, sie müssen also pünktlich im Fertilitäts-Center sein.

MANFRED: Wir müssen uns zwingen. Sonst wird das nichts. Also komm, steh bitte auf, das ist unsere letzte Chance.
DANIELA: Ich kann nicht.
MANFRED: Du musst.
DANIELA: Ich kann nicht.
MANFRED: Du weißt nicht, was du redest. Komm, steh jetzt auf. Du hast die Spritzen nicht umsonst bekommen. Vier Wochen bist du jetzt aufgepeppt worden – du musst es versuchen.
DANIELA: Ich kann nicht mehr.
MANFRED: Die Ärzte sagen, dass die Chancen gut stehen, dass es diesmal klappt. Sie sind sehr zuversichtlich.
DANIELA: Ich schaffe es nicht.
MANFRED: Und ich bin es auch. Es ist unser dritter Versuch.
DANIELA: Genauso gut könnten wir Lotto spielen.
MANFRED: Warum bist du denn plötzlich so pessimistisch? Gestern Abend warst du doch noch voller Hoffnung. Wie das Eilein und das Spermachen zusammenkommen und wachsen und wachsen und sich teilen und teilen. Und dann in deinem Bauch sich immer weiterteilen und weiterteilen. Bis man es dann sehen kann auf dem Bildschirm, wie er heranwächst und alles da ist, die Ärmchen und die Beinchen, die Fingerchen, der Kopf natürlich und die Äuglein, einfach alles. Und dann nach neun Monaten kommt er heraus und schreit und lacht.
DANIELA: Hör auf. Ich will kein Kind.
MANFRED: Ich bitte dich. Du weißt nicht, was du sagst. Du bist krank.
DANIELA: Ich bin nicht krank. Ich bin unfruchtbar.
MANFRED: Aber Schatz, gerade das wird sich nun ändern.
DANIELA: Und wenn ich jetzt schwanger werde, bin ich trotzdem unfruchtbar.
MANFRED will etwas sagen
DANIELA: Du musst es ja nicht aushalten. Du bist fein raus. Dein Spermium ist in Ordnung. Geradewegs aufs Ziel zu schießen sie. Nur bleiben sie leider immer stecken. In meinen verklebten Eileitern. Vorsicht Sackgasse!
MANFRED will sie in den Arm nehmen
DANIELA: Fass mich nicht an. Weißt du, was das bedeutet? Verklebt. Wie das schon klingt. Zugeschmiert. Zugekleistert. Verranzt, verdreckt, verfault. Verfault. Ausbreiten wird es sich. Von innen heraus durch die Eingeweide durch – alles verklebt. Dass dir nicht graut vor mir.
MANFRED weiß nicht, was er sagen soll
DANIELA: Du wartest darauf, dass ich dir zu deiner Unsterblichkeit verhelfe. Und wenn ich es jetzt versaue, dann kostet es das nächste Mal. Und nicht zu knapp. Dann ist es kein Geschenk mehr. Ich habe es satt. Ich will nicht mehr. Ich kann dich doch schon gar nicht mehr anfassen. Ich habe ja gar keine Lust mehr in mir. Alles versteinert. Es muss doch mal klappen. Und jetzt. –
MANFRED: Jetzt musst du einfach da hingehen und dir ihn einpflanzen lassen.
DANIELA: Verstehst du wirklich nicht, was ich meine?
MANFRED: Ich weiß nur, dass du jetzt aufstehen musst und mit mir kommen.
DANIELA: Nein.
MANFRED schlägt sie: Steh auf.
DANIELA: Ja, sie haben recht. Ein Kind zerstört die Ehe. Unseres zerstört uns schon vor seiner Zeugung. Bleibt ihm auch nichts anderes übrig, ein Nachher gibt es ja nicht.
MANFRED: Hör auf mit dem Selbstmitleid. (Er zerrt sie aus dem Bett) Du kommst jetzt mit. Es ist auch mein Kind. Und ich will, dass du das jetzt machen lässt.
DANIELA: Ich nehme diese scheußlichen Medikamente, ich habe eine Million Tests gemacht, ich habe in eine Million Becher gepieselt, man hat mich durch und durch untersucht, geröntgt und gestochen, und alles, was du tun musst, ist: in einen Becher wichsen. Ich kann nicht mehr.