Kein Wunder

Szenen aus dem Wartesaal einer Fertilitätsklinik
von Ingrid Kaech

Eine weiß gekachelte Bühne, von jeder Wand geht eine Tür ab, in der Mitte sitzen 5 Frauen auf 5 weißen Hockern, es herrscht erwartungsvolle Stille. Bis langsam rote Spuren aus der Mitte der Hocker rinnen. Die Frauen, sie bluten, sie weinen, sie beklagen ihr Schicksal.
Sie singen den Blutblues:

Blut, immer nur Blut.
Ach, wie weh das tut.
Blut, immer nur Blut.
Alle vier Wochen einmal
gehen wir durch dieses Jammertal.
Vier Wochen voller Hoffnung – vergebens
Die schleimige Spur bricht sich Bahn
Ewige Künderin toten Lebens
Fangen wir halt von vorne an.
Blut, immer nur Blut.
Ach, wie weh das tut.

alle Frauen haben ein großes Tablett mit Tabletten, werfen sich ab und zu eine Tablette ein und setzen sich Injektionen in den Oberschenkel

An der Wand ist zu lesen: hormonelle Stimulation + Ei-Ernte

1. Frau:
Das kostet Überwindung, natürlich. Das dritte Mal mach ich es. Das muss man sich vorstellen. Zum dritten Mal hab ich mich vollgespritzt, Hormone in mich hineingepumpt, um der Natur nachzuhelfen. Und jetzt hab ich prallgefüllte Eierstöcke, als wär ich eine Kuh. Und erst die Brüste. Das tut richtig weh. Diesmal muss es klappen. Das dritte Mal ist das letzte Mal, nachher kostet es richtig, das können wir uns nicht leisten. Mein Mann arbeitet ja schon wie ein Verrückter für nachher. Naja, etwas muss er ja beitragen, das bisschen Wixen zählt nicht. Die Hormone muss ich schlucken, nicht er. Damit da endlich was bleibt. Aber er musste ja unbedingt mit mir in die Berge. Wo der Doktor doch schon gesagt hat: Schonen Sie sich, damit ist nicht zu spaßen. Schwanger ist sie, hat mein Mann laut gesagt, nicht krank. Und dabei meinen Bauch getätschelt wie einem Pferd den Rücken, wenn’s brav galoppiert ist. Das war’s dann mit der Schwangerschaft.

Eine Frau geht in den Raum hinten links

Aus dem Raum hinten rechts kommt ein Mann und sagt: Ein paar bessere Pornos könnten die schon gebrauchen.

2. Frau:
Dauert das hier noch lang? Mein nächster Termin, ich kann den nicht verschieben. Muss ja schließlich etwas vorarbeiten, muss frau sich ja leisten können, vier Monate einfach auszusetzen. Da muss ich vorher noch alle Fäden knüpfen, nicht, dass mir die Kunden abspringen. Die müssen ja nicht erfahren, dass ich eine Babypause mache. Eine kompetente Sekretärin muss ich noch organisieren. Eine, die mich professionell verleugnet. Bis zum 8.Monat wird das ja keiner merken, bei meiner Figur. Alles eine Frage der richtigen Vorarbeit und des Timings. Fünf Kilo habe ich schon abgenommen, da kann ich nachher immer sagen, dass ich wieder etwas zunehmen wollte. Ich sei ja nicht magersüchtig. Ja, das kommt sicher gut, wenn ich das sage. Sehr modern, sich ein bisschen um die Gesundheit kümmern.

3. Frau:
Es muss an der Konstellation liegen. Irgendetwas passt bei uns nicht. So wie bei der Frau, die drei Mal geheiratet hat. Die wollte unbedingt ein Kind, aber mit keinem der Männer hat’s geklappt. Und dann hat sie sich einmal mit einem Kollegen im Büro in eine dunkle Ecke verdrückt, zwischen lauter Kopierpapieren – und schwupps war sie schwanger. Vielleicht sollte ich einfach aufstehen und in die nächste Bar gehen und mir einen richtigen Mann nehmen. So einen mit Muskeln und Schweißgeruch, einer, mit dem man nicht reden muss, der einfach richtig küsst und sich nicht ziert, ein Mann zu sein. Ich könnte mir einen Blue Curaçao bestellen. Zusammen mit dem Tablettenmix gibt das bestimmt eine gute Grundlage, und dann lass ich alle Hemmungen fahren. Wie lang habe ich keinen Alkohol mehr getrunken. Wegen der Tabletten und weil ich mich doch schonen muss. So ein Kind muss gut vorbereitet werden, da muss ich auch einmal zurückstecken mit meinen Bedürfnissen. Ja, das sagen die Ärzte, dass wir alle zu egoistisch sind und es deshalb mit dem Schwangerwerden nicht klappt. Ernsthaft, das hat mir so ein Weißkittel gesagt. Der Mann verdient gut an mir. Trotzdem hab ich meinen Mund gehalten. Schließlich ist es ja er, der mir ein Kind verschafft, wenn überhaupt.

Eine andere Frau geht in den Raum hinten links, ein Mann kommt gleichzeitig aus dem Raum hinten rechts mit gesenktem Kopf

4. Frau:
Es ist das erste Mal. Ich bin wohl die einzige hier, für die es das erste Mal ist. Die sehen alle schon so abgeklärt aus, frustriert. Ich habe mir das schon ein bisschen netter vorgestellt, nicht so steril. Egal, ich freu mich trotzdem. Ja, riesig freue ich mich. Ich bin mir sicher, dass es klappen wird. Es fehlt ja nicht viel, bei mir ist nicht wirklich etwas kaputt. Es ist nur, weil seine so langsam sind. Das hab ich ihm nicht gesagt. Der Arzt hat’s mir gesagt. Und hat mir gleich geraten, dass ich es für mich behalten soll. Das verkraftet ein Mann nicht so leicht, hat er gesagt. Und weil ich mich doch damit schon befasst hab, und ja, mich auch schon damit abgefunden hab, dass es an mir liegt, da soll ich ihm das jetzt doch nicht antun. Das hab ich eingesehen, meiner hätte da wirklich dran zu knabbern. Er hat ja so schon Probleme. Ein paar Mal hat’s jetzt schon nicht so richtig geklappt. Und ich habe mich wohl nicht so zurückgehalten, also, meine Enttäuschung, die hat er schon bemerkt. Das nagt natürlich am Selbstbewusstsein. Da hat er sich dann diese Pillen schicken lassen, diese blauen, für die man ständig Werbung ins Spamfach bekommt. Da hat er sich dann riesig gefreut, weil’s wieder so richtig funktioniert hat. Stolz war er wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal seinen Schniepel entdeckt. Naja, daran liegt’s ja gar nicht. Sonst hätt’s ja in der Nacht passieren müssen. Das war ja perfekt getimt von mir. Nein, das ist die Langsamkeit, und da helfen auch die blauen Pillen nichts. Aber der Arzt hat schon recht, das muss er nicht wissen. Und wenn ich bei mir mit ein paar Hormonstößen nachhelf, dann ist das sicher auch nicht verkehrt.

5. Frau:
Als Kind wollte ich immer Geschwister haben. Ich nahm alle Puppen, die ich hatte und stellte sie in einen Kreis um mich. Dann stellte ich mir vor, dass das alles meine Geschwister wären. So allein, nur mit meiner Mutter, das war nicht lustig. Und jetzt soll’s bei mir auch nur für ein Kind reichen? Seit drei Jahren schon versuchen wir’s, aber es klappt einfach nicht mehr. Jetzt ist sie schon bald 4, der Altersunterschied sollte doch nicht so groß sein. Vielleicht krieg ich jetzt ja Zwillinge oder gar Drillinge. Aber dann wär meine Süße außen vor. Das geht doch auch nicht. Andererseits müsste ich mich dann nicht mehr so quälen. Ich wusste wirklich nicht, dass das so kompliziert ist mit dem Kinderkriegen. Wo doch alle immer nur daran denken, wie sie’s wieder loswerden. Ich hab wirklich geglaubt, dass man einfach schwanger wird, wenn man sich liebt und oft genug miteinander schläft. Ist doch das Natürlichste auf der Welt. Das wissen doch die meisten nicht. Planen und verhüten und warten, dabei ist das vielleicht ganz unnütz, weil sie gar nicht schwanger werden können. Ich habe wirklich geglaubt, die Natur wär ganz einfach.

Alle Frauen singen:
Mein Bauch gehört mir
drum geb ich ihn ab
Mein Bauch gehört mir
noch ist er ein Grab.
Durch euer Geschick
mit kunstvollen Waffen
wird er hoffentlich dick
ein Kind mir geschaffen.